Ein Jahr Datenschutzgrundverordnung: Kein Pro­blem für Apple, Face­book und Co.

Gastbeitrag von Prof. Niko Härting

22.05.2019

Nach einem Jahr DSGVO ist die Marktmacht der großen amerikanischen Internetkonzerne ungebrochen. Wer gehofft hatte, das neue Recht werde zum "Wettbewerbsvorteil" der europäischen Konkurrenz, wurde schnell eines Besseren belehrt.

Auf die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) waren die meisten US-Unternehmen viel besser vorbereitet als europäische Konkurrenten. Auf die DSGVO als Instrument des Wettbewerbs zu setzen, erwies sich als naiv.

Die DSGVO hat Anwälten und Beraterinnen viel Arbeit und ein gutes Auskommen beschert. Vereine und Mittelständler klagen allerdings über bürokratischen Aufwand. Die Datenschutzbehörden berichten von einem sprunghaften Anstieg der Beschwerden und Meldungen.

Derweil hatten sich Apple und Facebook, Google, Microsoft und Amazon vor dem 25.05.2018 mit großem Aufwand zwei Jahre lang auf die DSGVO vorbereitet. Offiziell hört man aus diesen Unternehmen kein kritisches Wort zum europäischen Datenschutzrecht. Im Gegenteil: Tim Cook (Apple) und Mark Zuckerberg (Facebook) sprachen sich unlängst für ein US-Bundesgesetz nach dem Vorbild der DSGVO aus.

Kaum jemand zieht mit seinen Daten um – wohin auch?

Als das neue europäische Datenschutzrecht verabschiedet war, wurde es gefeiert als scharfes Schwert im Kampf europäischer Bürger gegen große Konzerne aus dem Silicon Valley. Der Dokumentarfilm "Democracy – Im Rausch der Daten" geriet zum Heldenepos über den siegreichen Kampf europäischer Politiker gegen amerikanische Lobbyisten. Der grüne Politiker Jan Philipp Albrecht meinte sogar, dass die DSGVO "existenzbedrohend für Facebook" werden könne.

Gerade Facebook war den Müttern und Vätern der DSGVO ein Dorn im Auge. Man konzipierte ein "Recht auf Datenübertragbarkeit" (Art. 20 DSGVO). Europäische Bürger können von Facebook verlangen, dass Facebook Daten herausgibt, damit die Nutzer mit diesen Daten ein neues Social Network-Leben bei einem europäischen Konkurrenten beginnen können.

Dass Facebook-Nutzer von diesem Recht in nennenswerter Zahl Gebrauch gemacht haben, lässt sich ein Jahr nach dem DSGVO-Stichtag nicht feststellen. Wohin auch? Bei den Sozialen Netzwerken hat sich an der Dominanz der amerikanischen Riesen ebenso wenig geändert wie bei den Suchmaschinen und Smartphone-App-Stores.

Bußgelder halten sich in Grenzen

Der Datenschutz sollte durch die DSGVO "Zähne" bekommen. Dies war ein zentrales Anliegen, und die Bußgelder von bis zu 4 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sind auf amerikanische "Datenkraken" gemünzt. In Deutschland ist es indes bislang bei recht bescheidenen Bußgeldbeträgen geblieben. Der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink führt die inoffizielle deutsche Bußgeldliga mit einem Betrag von gerade einmal 80.000 EUR an.

Die französische CNIL hat als einzige europäische Datenschutzbehörde bislang ein Millionenbußgeld verhängt. Adressat war Google, das Bußgeld beläuft sich auf 50 Mio. EUR und ist unter anderem wegen Fragen zur Zuständigkeit der französischen Datenschützer umstritten.

Die meisten US-Unternehmen haben ihren europäischen Hauptsitz in Irland. Nur die irische Behörde kann gegen Unternehmen wie Facebook, Microsoft und Twitter mit Aufsichtsverfahren, behördlichen Anordnungen und Bußgeldern vorgehen. Von dem "One-Stop-Shop", der der europäischen Wirtschaft als Vorteil der DSGVO vollmundig angepriesen wurde, profitiert niemand so sehr wie die amerikanische Konkurrenz. Die irische Datenschutzbehörde führt eine Reihe von Verfahren gegen Facebook und andere US-Unternehmen. Man arbeitet gründlich und professionell. Dennoch beschweren sich manche deutschen Behördenleiter hinter vorgehaltener Hand über die Langsamkeit ihrer irischen Kollegen, denen man gerne unterstellt, sie schonten amerikanische Unternehmen, damit Irland als Firmensitz auch in Zukunft attraktiv bleibe.

Kartellrecht könnte den Internetriesen gefährlicher werden

Früher oder später werden die irischen Datenschützer saftige Bußgelder gegen Facebook & Co. verhängen. Wir dürfen uns auf langjährige Gerichtsverfahren einstellen. Da die Kriegskassen im Silicon Valley milliardenschwer sind, wird dies die Existenz von Facebook nicht gefährden. Nutznießer werden vor allem irische Anwälte sein. Datenschutzjuristen sind gerade auch in Irland sehr gefragt.

Der Datenschutz ist als Bürgerrecht entstanden, als Bremse eines übermächtigen, informationshungrigen Staates. Daher war es ein Fehler, das neue Recht als Instruments des Wettbewerbs gegen amerikanische "Datenkraken" zu propagieren. Man hat Erwartungen erweckt, die das neue Recht nicht erfüllen kann und wird. Die DSGVO wird Google und Facebook, Apple und Amazon, Microsoft und Uber weder schwächen noch zerschlagen. Als Instrument des Wettbewerbsrechts wird die DSGVO ein "Scheinriese" bleiben.

Für den Kampf gegen die Marktmacht der Internetriesen gibt es ein ganz anderes Zukunftsszenario. Mehrere US-Präsidentschaftskandidaten fordern bereits eine Zerschlagung von Facebook mit den Mitteln des Kartellrechts. Damit meinen sie nicht aufwändige Verfahren eines deutschen Kartellamts, in denen es um das Kleingedruckte in Einwilligungserklärungen geht, sondern eine erzwungene Aufspaltung des Unternehmens durch die amerikanische Wettbewerbsbehörde. Alles spricht dafür, dass sich die Internetriesen viel mehr vor einer Zerschlagung durch US-Behörden fürchten müssen als vor drakonischen Bußgeldern europäischer Datenschützer.

Zitiervorschlag

Ein Jahr Datenschutzgrundverordnung: Kein Problem für Apple, Facebook und Co. . In: Legal Tribune Online, 22.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35527/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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